VDB - Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare

Informationen zum Berufsbild der wissenschaftlichen Bibliothekarin / des wissenschaftlichen Bibliothekars

Tätigkeitsfelder wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare

Die Arbeitsgebiete wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare unterscheiden sich je nach Bibliothek oder Bibliothekstyp: Wissenschaftliche Bibliothekare einer Forschungsbibliothek erfüllen andere Aufgaben als ihre Kolleginnen und Kollegen an Universitätsbibliotheken; die Arbeitsschwerpunkte bei der Leitung einer Linienabteilung in einer großen Bibliothek sind andere als die eines Fachreferenten oder Projektmanagers. Gemeinsam sind allen Tätigkeitsgebieten speziell der wissenschaftlichen Bibliothekarinnen und Bibliothekare jedoch das konzeptionelle und strategische Arbeiten in einem durch starke Veränderungen geprägten Umfeld, die Bearbeitung neuer komplexer Aufgaben- und Problemstellungen sowie die eigenverantwortliche Steuerung betrieblicher Prozesse. Es lassen sich dabei einige Einsatzfelder differenzieren:

1) Bestandsaufbau und -profilierung

Die Verantwortung für den Bestandsaufbau einer Bibliothek umfasst sowohl die Erarbeitung und Entwicklung zielgruppenspezifischer Erwerbungsprofile für die jeweilige Einrichtung, um einen kontinuierlichen, qualitätvollen und nachhaltigen Bestandsaufbau zu gewährleisten, als auch die Verantwortung für Erwerbungsentscheidungen im Einzelnen. Automatisierte Prozesse, wie beispielsweise Approval Plans oder Patron Driven Acquisition, oder die Beteiligung an Konsortien entlasten zwar von Routineentscheidungen, erhöhen aber den konzeptionellen Aufwand in Erwerbungsorganisation und Metadatenmanagement, da sie kontinuierlich evaluiert und aktualisiert werden müssen.

2) Erschließung

Die inhaltliche Erschließung von Publikationen und anderen Objekten (z.B. von Forschungsdaten) ermöglicht nicht nur den direkten thematischen Zugriff für Bibliotheksnutzer (sei es über klassisches Information Retrieval oder Websuchmaschinen), sondern spielt auch eine wichtige Rolle bei der Vernetzung bibliothekarischer Daten mit nicht-bibliothekarischen Angeboten im Semantic Web. Die intellektuelle Erschließung erfolgt in der Regel durch die Zuordnung von Schlagwörtern aus einem kontrollierten Vokabular und/oder durch die Einordnung in eine Klassifikation. Nötig sind dafür sowohl Kenntnisse der bibliothekarischen Regelwerke als auch ein ausreichender fachlicher Hintergrund bzw. eine gute wissenschaftliche Allgemeinbildung. Auch die Pflege und Weiterentwicklung der Erschließungsinstrumente gehört zum Aufgabenspektrum (z.B. Anlegen neuer Schlagwortnormsätze, Überarbeiten von Klassifikationen, Mitarbeit bei internationaler Standardisierungsarbeit). Eigene Erschließungsaktivitäten werden künftig durch Aufgaben innerhalb eines umfassender zu verstehenden Metadatenmanagements ergänzt: Dazu gehören u.a. die Entwicklung einer Gesamtstrategie für die Erschließung sowie die Definition der Methoden für verschiedene Arten von Ressourcen und unterschiedliche Erschließungstiefen. Dies schließt auch die Anwendung automatischer Methoden und die Übernahme von Metadaten aus Fremdproduktion ein. Fragen der Qualität und Bewertung von Metadaten, ihrer Zusammenführung und Homogenisierung sowie rechtliche Aspekte beim Umgang mit Metadaten rücken verstärkt in den Mittelpunkt.

3) Vermittlung

Die Vermittlung von Informationskompetenz wird infolge der rasanten Veränderung wissenschaftlicher Kommunikation zu einer immer wichtigeren Tätigkeit wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare als Informationsspezialisten ihres Fachgebietes (siehe hierzu auch das "Qualifikationsprofil des Teaching Librarian" der Gemeinsamen Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv). An allen Bibliotheken gehören fachspezifische und spezialisierte Schulungsangebote zu den Grundaufgaben wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Die vertiefte Kenntnis der Informationsressourcen und Forschungsmethoden eines Faches, kombiniert mit den in der bibliothekarischen Ausbildung erworbenen technischen und methodischen Kenntnissen des Information Retrieval sowie von Lehrkompetenz ist hierfür die Voraussetzung. Die Präsentation wissenschaftlicher Sammlungen – in Ausstellungen oder in virtualisierter Form – gehört ebenfalls zum Aufgabengebiet der wissenschaftlichen Informationsvermittlung.

4) Erhaltung

Bibliotheken tragen dazu bei, das kulturelle Erbe zu bewahren. Die Verantwortung für die Bestandserhaltung von Druckwerken und historischen Sammlungen, vor allem die Konzeption und Umsetzung von Bestandserhaltungsstrategien, ist daher schon sehr lange Aufgabe wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Elektronische Medien bringen neue Herausforderungen mit sich, da zu ihrer Erhaltung die Entwicklung landesweit koordinierter Konzepte und Infrastrukturen zur Langzeitarchivierung notwendig ist. Bibliotheken haben auf diesem Gebiet seit Jahren eine führende Rolle übernommen.

5) Management

Bibliotheken erbringen nicht nur Dienstleistungen für ihre primären Zielgruppen, sie nehmen auch laufend Innovationen des Informationssektors auf, entwickeln diese weiter und sind selbst Impulsgeber für Entwicklungen innerhalb der Informationswirtschaft und deren Infrastruktureinrichtungen.

Typische Managementaufgaben wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare in allen Bibliothekstypen sind etwa: Finanzplanung, Etatverwaltung und -bewirtschaftung, Organisation von Abteilungs- oder Benutzungsstrukturen, Personalverwaltung und -führung oder Bauplanung und -verantwortung, das Entwickeln von Innovationen sowie die Durchführung nationaler und internationaler Projekte in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen oder die infrastrukturelle Kooperation auf Verbundebene, innerhalb von Konsortien oder anderen Koordinierungseinrichtungen. Für alle diese Tätigkeiten sind sehr gute Kenntnisse der nationalen, aber auch der internationalen (EU-Förderung) Wissenschafts- und Bibliothekslandschaft sowie neuer Entwicklungen im Bibliothekswesen, aber auch Verwaltungskenntnisse Voraussetzungen, die in der postgradualen Ausbildung vermittelt werden.

6) Dienstleistungen für wissenschaftliche Fachkulturen

Bibliotheken werden nicht nur durch die eigene Institutionengeschichte, sondern vor allem durch die Ansprüche ihrer Systemumwelten geprägt. Fachkulturen spielen hierbei eine prägende Rolle. Die Zielgruppenorientierung erfordert eine kontinuierliche Kommunikation zwischen Bibliothek und Nutzerkreis, um Dienstleistungen mit den Bedürfnissen von Nutzergruppen abzustimmen und neue Dienstleistungsangebote zu entwickeln und einzuführen. Die Orientierung von Bibliotheken an den Fachkulturen ihrer Zielgruppen erfordert es, bibliothekarische Services und deren praktische Ablaufplanung passgenau für Wissenschaftskulturen der primären Nutzerkreise zu entwickeln, zugleich aber eine Balance zwischen Spezifizierung und notwendiger Standardisierung zu finden.

So generiert beispielsweise die voranschreitende Digitalisierung im Informationssektor neue Aufgaben für wissenschaftliche Bibliothekarinnen und Bibliothekare: Open Access, Forschungsdatenmanagement oder Publikationsmanagement sind Tätigkeitsfelder, die Bibliothekarinnen und Bibliothekare zunehmend aktiv gestalten, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine fachkulturspezifische Informationsinfrastruktur anbieten zu können. An dieser Stelle entstehen neue Verbindungen von Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

7) Forschung

Bibliotheken mit ihren Dienstleistungen sind Teil der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Sie spiegeln die lokale Wissenschaftsgeschichte ihrer Trägerinstitutionen ebenso wider wie die regionale, nationale, aber auch internationale Wissenschaftsgeschichte. Daher sind Bibliotheken und ihre Sammlungen selbst Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Als Teil wissenschaftlicher Infrastruktur befördern und unterstützen sie zugleich diese Forschungen. Vor allem in Spezial- und Forschungsbibliotheken gehört Forschungsarbeit zum Tätigkeitsprofil wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare. In Forschungs- und Entwicklungsabteilungen großer Bibliotheken treiben wissenschaftliche Bibliothekarinnen und Bibliothekare Bibliotheksinnovation voran. Themen der Informationsversorgung und Informationsinfrastruktur sind Gegenstand bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Forschung.

8) Ausbildung

Bibliotheken sind Orte der praktischen Ausbildung, deren Ausbildungsschwerpunkte nicht durch lokale Bedürfnisse, sondern durch überinstitutionelle berufliche Anforderungen geprägt sind. Dieses Tätigkeitsfeld umfasst das Management der Ausbildung ebenso wie die praktische und theoretische Kompetenzbildung von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren. Inhalte und Qualität der Ausbildung bestimmen die Weiterentwicklung des Berufsfelds und prägen das berufliche Ethos.

Kompetenzen wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare

Persönliche und fachliche Kompetenzen, die während einer wissenschaftlichen Ausbildung entwickelt werden, sind von großer Bedeutung für die berufliche Tätigkeit von wissenschaftlichen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, da Bibliotheken eine heterogene Nutzerschaft haben und eine Schnittstelle zu vielfältigen internen und externen Partnern wie Politik, Wissenschaft, Hochschulverwaltungen und Hochschulrechenzentren sowie anderen Kulturbetrieben und -institutionen darstellen.

Für die Wahrnehmung einer solchen Vermittlerrolle sind auch administrative Fähigkeiten erforderlich. Wegen der Vielfältigkeit der Tätigkeitsfelder und des schnellen Wandels der Informationslandschaft spielen das nicht-formale und informelle Lernen beim Aufbau lebenslanger beruflicher Kompetenz eine große Rolle, und damit auch die personalen Kompetenzen.

Die für das Berufsfeld wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare konstitutiven fachlichen und personalen Kompetenzen können wie folgt eingeordnet werden:

1) Fachkompetenz

  • Wissen
    • Erfolgreich absolviertes wissenschaftliches Fachstudium (Master-Ebene)
    • Erfolgreich absolvierte postgraduale Ausbildung im Bibliotheks- und Informationsbereich
  • Fertigkeiten
    • Erfahrungsbasierte Kenntnisse der Arbeits- und Denkweisen der Scientific Community zur Lösung auch strategischer Probleme
    • Kenntnisse des fachspezifischen Informationsbedarfs und -verhaltens sowie der fachspezifischen Publikationsgewohnheiten und des Publikationswesens
    • Fähigkeit, den Bedarf akademischer Fachkulturen sinnvoll zu interpretieren sowie die Umsetzung von Maßnahmen, die dieses Umfeld optimal unterstützen, aktiv zu planen, zu steuern und zu kontrollieren
    • Lehrkompetenz, didaktische Kompetenz
    • Verwaltungskenntnisse
    • Vertiefte Kenntnisse in Informationstechnologie

2) Personale Kompetenz

  • Sozialkompetenz
    • Bereichsspezifische und -übergreifende Kommunikationsfähigkeit
    • Team- und Führungsfähigkeit
    • Organisationsfähigkeit
    • Verhandlungsgeschick
    • Dienstleistungs- und ressourcenorientiertes Denken
    • Kompetenz in fremdsprachlicher Kommunikation
    • Interkulturelle Kompetenz
  • Selbstständigkeit
    • Fähigkeit zum selbstständigen Transfer wissenschaftlicher Fach- und Methodenkompetenz in die Entwicklung zielgruppenspezifischer Dienstleistungen
    • Fähigkeit, sich in neue, anspruchsvolle Aufgabengebiete schnell einzuarbeiten, Ziele zu definieren und Projekte bereichs- und einrichtungsübergreifend durchzuführen

Diese Darstellung ist angelehnt an das entsprechende VDB-Positionspapier Position des Vereins Deutscher Bibliothekare zur Qualifikation als Wissenschaftliche Bibliothekarin / Wissenschaftlicher Bibliothekar von 2014.