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Thesen zum Round Table-Gespräch des VDB am 4. März – Teil 2

Der zweite Teil der Thesen der Gesprächsteilnehmer des öffentlichen Round Table-Gesprächs am 4.3.2015 in Berlin wird nun vorab im VDB-Blog veröffentlicht. Es geht weiter mit den Beiträgen von Felix Lohmeier, Dr. Robert Scheuble und Dr. Irmgard Siebert.

Felix Lohmeier

  1. Das Positionspapier von 2014 bezeichnet die „postgraduale infrastrukturelle Ausbildung“ als „konstitutiv“ für das Berufsbild und als „notwendige Voraussetzung für den Erwerb und den lebenslangen Ausbau beruflicher Qualifikaton“. Diese ausschließenden Formulierungen sind problematisch, weil sie die Chance zum Quereinstieg verwehren. Das Gegenteil ist nötig. Die Arbeitswelt in Bibliotheken erfordert schon jetzt, aufgrund des rasanten Wandels der Anforderungen, eine radikale Öffnung gegenüber anderen Branchen und Menschen mit Informationsexpertise. Es ist nicht realistisch, dass die im Positionspapier angedeuteten sich wandelnden Ansprüche der „Systemumwelten“ und die eigene zugeschriebene „Vermittlerrolle“ mit einem sich noch stärker abschottenden Berufsstand gelöst werden können. Entsprechend müsste der Berufsverband eigentlich gegenteilige Anreize setzen und der Überreglementierung der Zugänge ins Bibliothekswesen entgegenwirken. Das ist für mich persönlich der größte Stein des Anstoßes in diesem insgesamt konservativen Papier.
  2. Das Berufsbild sollte zumindest in der IST-Analyse am tatsächlichen Arbeitsmarkt ausgerichtet werden. Die Liste der „konstitutiven fachlichen und personalen Kompetenzen“ wirkt wie aus der Luft gegriffen und schwankt merkwürdig im Detailgrad („Fähigkeit, den Bedarf akademischer Fachkulturen sinnvoll zu interpretieren sowie die Umsetzung von Maßnahmen, die dieses Umfeld optimal unterstützen, aktiv zu planen, zu steuern und zu kontrollieren“ vs. „Verwaltungskenntnisse“ und „Kenntnisse in Informationstechnologie“). Es ist zu vermuten, dass der Liste keine empirische Basis zu Grunde liegt, gleichzeitig erweckt aber die Einordnung in das Rahmenmodell des DQR einen Eindruck der Formalisierung und Objektivität. Um eine erste empirische Grundlage zu erhalten, könnten die Kriterien in Stellenangeboten im wissenschaftlichen Dienst aus openbibliojobs ausgezählt werden. In Bezug auf These 1 springt einem auch entgegen, dass im Punkt „Wissen“ ausschließlich die formalen Abschlüsse benannt werden. Selbst das referenzierte Rahmenmodell des DQR ist dort offener und verlangt in Niveau 7 Abschlüsse oder „umfassendes berufliches Wissen in einem strategieorientierten beruflichen Tätigkeitsfeld“ und zusätzlich „erweitertes Wissen in angrenzenden Bereichen“.
  3. Eine der Grundfunktionen von Bibliotheken, der Bereitstellung eines freien Zugangs zu Information und Wissen, hat im Zuge der Überwachungsskandale und den durch Marktinteressen auferlegten Restriktionen bei elektronischen Ressourcen in den letzten Jahren einen erheblichen Bedeutungsgewinn erfahren. Ich plädiere für Openness als generelles Leitbild und halte dies politisch für eine Chance der zu schwinden drohenden Legitimation von Bibliotheken im Internetzeitalter zu begegnen. Da dies in aller Konsequenz vermutlich nicht unstrittig ist, könnte ggf. eine weiche Formulierung zum freien Zugang zu Information und Wissen Einzug in das Positionspapier finden. Derzeit tauchen die Begriffe der Freiheit und Offenheit im Text praktisch nicht auf.

Dr. Robert Scheuble

  1. Als eines der klassischen Einsatzfelder wissenschaftlicher Bibliothekarinnen und Bibliothekare wird im Positionspapier das Management genannt. Es ist zu prüfen, inwieweit die postgradualen Ausbildungsgänge tatsächlich die erforderlichen Kompetenzen für die Bewältigung von Managementaufgaben vermitteln, wie sie im Papier exemplarisch aufgeführt sind. Aus meiner Sicht verdienen in der Auflistung klassischer Einsatzfelder die Arbeitsbereiche Technologie bzw. Informationstechnologie einen eigenen Punkt. Auch bezüglich dieser ist die Frage angebracht, ob die postgradualen Ausbildungsgänge auf damit zusammenhängende Aufgabenstellungen angemessen vorbereiten.
  2. Das Positionspapier beschäftigt sich mit der Qualifikation als wissenschaftliche Bibliothekarin bzw. als wissenschaftlicher Bibliothekar und dem damit korrespondierenden Berufsbild. Sind nun aber wirklich alle Bibliothekarinnen und Bibliothekare im höheren Dienst schon deshalb automatisch wissenschaftliche Bibliothekarinnen und Bibliothekare, weil sie eine wissenschaftliche Ausbildung genossen haben und in einer wissenschaftlichen Bibliothek arbeiten? Oder sind sie es, weil sie in mehr oder weniger großem Umfang Fachreferate betreuen? Und ist das Fachreferat überhaupt eine wissenschaftliche Tätigkeit, nur weil es für einen wissenschaftlichen Kontext ausgeübt wird? Diese Fragen stellen sich umso grundsätzlicher, je weiter die Bibliothekarinnen und Bibliothekare des höheren Dienstes vom Fachreferat und der Wissenschaft entfernt sind, z.B. in Leitungs- und Verwaltungsaufgaben, IT- und Presseabteilungen. Sofern die Bezeichnung wissenschaftliche Bibliothekarin beziehungsweise wissenschaftlicher Bibliothekar auch eine Aussage über das  reale Berufsbild sein soll, könnte darüber nachgedacht werden, sie denjenigen vorzubehalten, die im engeren Sinne wissenschaftlich arbeiten, also maßgeblich einer forschenden Tätigkeit nachgehen und entsprechende Ergebnisse publizieren.

Dr. Irmgard Siebert

  1. Der wissenschaftliche Bibliothekar wird für alle anspruchsvollen Arbeiten, die in einer Wissenschaftlichen Bibliothek anfallen, gebraucht. Dies können wissenschaftliche oder wissenschaftsnahe Aufgaben, Leitungsfunktionen oder Tätigkeiten im Bereich IT, Öffentlichkeitsarbeit oder Bibliotheksbau sein. Diese Aufgaben variieren von Institution zu Institution (Haubfleisch) und unterliegen historischen Wandlungen. Die Breite des Tätigkeitsfeldes bildet mithin das entscheidende Charakteristikum des Berufs des wissenschaftlichen Bibliothekars (Brintzinger).
  2. Ein Modell Einheitsbibliothekar ist folglich unrealistisch. In der Praxis sind Spezialisierungen (Barth/Brugbauer) bzw. Binnendifferenzierungen (Jochum) unumgänglich. Komplexe Aufgaben erfordern vernetztes Wissen und vernetztes Denken. Genuin wissenschaftliche (schöpferische) Tätigkeiten werden vor allem in Bibliotheken anfallen, die über historische Sammlungen verfügen (Raabe) und/oder anspruchsvolle Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Klassische und moderne Formen der Fachreferatsarbeit werden – obgleich erstere von manchen totgesagt werden (Tappenbeck) – auch zukünftig einen wichtigen Teil der Arbeit des wissenschaftlichen Bibliothekars ausmachen (Enderle, Stäcker, Keßler). Leitende, koordinierende und projektbezogene Aufgaben werden weiter zunehmen. Die scheinbar nur praktischen Tätigkeiten wie Fachreferat, Management, Koordination sind, sofern sie wissenschaftsgerecht und nutzungsorientiert ausgeführt werden, auf historisches und vergleichender Wissen angewiesen; die oft behauptete Dichotomie zwischen Wissenschaft und Verwaltung kann bei adäquater Ausübung dieser Aufgaben („historisch reflektierte Praxis“) nicht bestehen.
  3. Die Qualifikation des wissenschaftlichen Bibliothekars besteht aus einem abgeschlossenen wissenschaftlichen Studium (bevorzugt mit Promotion) und einer bibliothekarischen Ausbildung, die für Quereinsteiger auch berufsbegleitend angeboten wird. Die bibliothekarische Ausbildung umfasst praktische und theoretische Teile, sie vermittelt die historischen und aktuellen Grundlagen des Berufs und ermöglicht Spezialisierungen. Weitere Ausbildungsinhalte werden aus den sich wandelnden Aufgaben abgeleitet. Maßgeschneiderte Fortbildungsangebote begleiten Spezialisierungen, die erst im Laufe der Berufspraxis erfolgen, und sichern die erforderliche Weiterbildung.
    Es ist zu akzeptieren, dass Studium und bibliothekarische Ausbildung nicht vollständig auf die Berufspraxis vorbereiten. Diese „Lücke“ sollte durch Schlüsselkompetenzen und ein Set an Persönlichkeitsmerkmalen geschlossen werden.
    Wäre der Begriff (heute) nicht so negativ besetzt, könnte man abschließend fordern, dass der wissenschaftliche Bibliothekar ein „genialer Dilettant“ (Jacob Burckhardt) sein sollte, um seinen vielfältigen Anforderungen mit großer Flexibilität gerecht zu werden.